… fragte ich die Teilnehmerinnen des Seminars „Aggressive Verhaltensweisen verstehen und konstruktiv begleiten“ und präsentierte ein Flipchart, wie du es auf dem Foto sehen kannst. „Schreibe alles auf einen Notizzettel, was dir einfällt.“, ergänzte ich und gab dann eine Minute Zeit zum Schreiben.
Wenn du Lust hast, dieses kleine Experiment mitzumachen, dann nimm dir ebenfalls einen Zettel und schreibe alles auf, was du sehen kannst. Lies danach weiter.
Nach einer Minute bat ich die Teilnehmerinnen darum, alles vorzulesen, was sie notiert hatten. Die Antworten waren sehr vielfältig: Eine hatte einen grauen Kreis gesehen, die nächste eine Weltkugel. Die dritte beschrieb eine runde Fläche mit dunkelgrünen Streifen, die vierte einen Ball in einer dunklen Farbe. Eine der Teilnehmerinnen hatte notiert, dass sich die Fläche ungefähr in der Mitte des Blattes befindet. Eine andere beschrieb genau, dass die Farbstreifen diagonal verlaufen und die Fläche nicht vollständig ausgemalt ist. Wir staunten gemeinsam über die Vielfalt des Geschriebenen.
Die Teilnehmerinnen warteten nun ganz gespannt auf eine Auflösung. Ich fragte stattdessen, worin sich die Antworten unterscheiden und was alle Antworten gemeinsam haben. Sehr schnell einigte sich die Runde darauf, dass manche eher beschrieben und andere eher gedeutet hatten. Gemeinsam hatten sie auch erkannt, dass die Genauigkeit der Beobachtung oder die Präzision bei der Wortwahl sich sehr unterschieden. Schon an diesem Punkt war es für alle eine wichtige Lektion zum wertfreien Beschreiben. Niemandem jedoch wollte einfallen, was alle Antworten gemeinsam hatten. Diese Frage durfte ich auflösen: „Jede von euch hat ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die farbige Fläche in der Mitte gerichtet. Keine hat das Papier näher beschrieben, die feinen Linien darauf oder die Schriftzüge am unteren Ende des Blattes. Niemand hat über die Klemmvorrichtung oder die Rollen des Flipcharts gesprochen oder über irgendetwas, das über das Flipchart hinausgeht.“ – „Ahhh, jetzt fühle ich mich ertappt.“ rief eine der Teilnehmerinnen. In ihrer Stimme schwang eine große Portion Erkenntnis und ein leiser Ärger darüber, dass sie sich hatte verführen lassen.
„Genau so ist es mit dem aggressiven Verhalten von Kindern.“, fuhr ich fort, „die Aufmerksamkeit – und mit ihr eure ganze Energie – geht nur noch zu dem Verhalten, das anstrengt, auffällt oder verletzend ist. Beim hartnäckigen Versuch, Kinder zu schützen, nach Ursachen zu fahnden und endlich Lösungen zu finden, werden wir verführt, nur noch auf das Verhalten zu schauen, das für uns schwierig ist. Und dabei sind die Kinder sind so viel mehr.“
Wenn du dich hier wiedererkennst, dann frage dich gern, was du siehst und was nicht, wo genau du hinschaust und wo du bisher nicht oder nicht gründlich genug hingeschaut hast. Nimm gern die folgenden Fragen mit, um deiner Aufmerksamkeit eine neue Richtung zu geben:
Welche Verhaltensweisen des Kindes mag ich, mit welchen finde ich einen leichten Umgang?
In welchen Situationen zeigt das Kind andere Verhaltensweisen?
Wann spielt es vertieft, ist hilfsbereit oder hat gute Ideen für die Gruppe?
Welche Schritte ist das Kind schon gegangen? Was hat es dazugelernt?
Die Antworten auf diese Fragen decken Ressourcen und Kompetenzen des Kindes auf, weiten den Blick für pädagogische Handlungsmöglichkeiten, ebnen den Weg für neue Beziehungserfahrungen mit dem Kind und tragen wesentlich dazu bei, dass alle Beteiligten sich entspannen und dazulernen können.
Ich wünsche dir bei deiner Entdeckungsreise viel Freude und einige Aha-Momente.
In Kindertageseinrichtungen gehören Konflikte zwischen Kindern zum Alltag. Oft finden lautstarke verbale Schlagabtausche statt, immer wieder kommt es auch zu körperlichen Übergriffen. Viele pädagogische Fachkräfte empfinden das als belastend und fühlen sich beeinträchtigt. Sie wünschen sich ein harmonisches Miteinander und beenden Streit so schnell wie möglich. Andere pädagogische Fachkräfte empfinden Konflikte zwar als störend, lassen die Kinder aber ihre Angelegenheiten selbst regeln. Sie schreiten nur ein, wenn eine Eskalation verhindert werden muss. Beide Vorgehensweisen sind nachvollziehbar. Sie zeigen individuelle Werte, Ziele und Bedürfnisse. Gleichzeitig haben beide Vorgehensweisen ihre Tücken. Welche das sind, erfährst du in diesem Beitrag. Außerdem gebe ich dir Impulse und praktische Beispiele für eine hilfreiche Konfliktbegleitung.
Streiten lernen – Was gehört dazu?
Das Klären und Lösen von Konflikten ist eine sehr komplexe Aufgabe, die auch für Erwachsene immer wieder eine Herausforderung ist. Sie erfordert eine Reihe von sozial-emotionalen und kognitiven Fähigkeiten:
eigene Bedürfnisse, Gefühle, Interessen und Grenzen wahrnehmen und mimisch, gestisch oder mit Hilfe von Worten ausdrücken
die Folgen des eigenen Handelns absehen und bei der Handlungsplanung berücksichtigen
Mimik, Gestik und Worte von anderen wahrnehmen und die damit verbundenen Bedürfnisse, Gefühle, Interessen und Grenzen erkennen und berücksichtigen
Gefühle regulieren, Bedürfniserfüllung aufschieben und Impulse kontrollieren
sich in die Lage anderer versetzen
Schon sehr junge Kinder verfolgen die eigenen Interessen sehr zielgerichtet und drücken ihre Gefühle mimisch und gestisch aus. Über viele der oben genannten Fähigkeiten verfügen sie jedoch noch nicht, da diese sich erst mit der Reifung der Großhirnrinde entwickeln. Aus diesem Grund kommt es bei Kindern unter drei Jahren häufig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Verhaltensweisen wie Kratzen, Beißen, Haare ziehen oder Hauen sind dabei nicht ausgeschlossen. Für solche Situationen benötigen Kinder eine vorausschauende und verlässliche Konfliktassistenz von Erwachsenen, auch zu ihrem Schutz.
Mit fortschreitender Entwicklung der Kinder, insbesondere ab einem Alter von etwa drei Jahren, bietet jede Konfliktsituation die Gelegenheit, diese Fähigkeiten zu erproben, zu erweitern und dazuzulernen. Wenn du hier vorschnell eingreifst und Konflikte unterbindest oder fertige Lösungen präsentierst, nimmst du Kindern diese wertvollen Lernerfahrungen. Außerdem setzt du dich selbst mächtig unter Druck. Findest du keine gerechte Lösung, werden Konflikte nicht wirklich beigelegt und flammen immer wieder auf.
Als pädagogische Fachkraft bist du also gefordert, eine gute Balance zu finden. Du darfst begleiten und schützen, wenn Kinder nicht allein zurechtkommen. Du darfst zutrauen und ermutigen, wenn Kinder selbst aktiv werden können und wollen.
Zutrauen und Ermutigung
In gewaltfreien und gleichberechtigten Konfrontationen ist dein Zutrauen gefragt. Beobachte die Kinder aufmerksam, begib dich gegebenenfalls in Hörweite, halte dich aber mit Vorschlägen und deiner persönlichen Meinung zurück.
Fachkraft Matti wird auf Emil und Ben aufmerksam. Beide liefern sich ein lautstarkes Wortgefecht. „Du bist schon drei Runden gefahren. Jetzt will ich das Auto haben.“ – „Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe es gerade erst bekommen!“ – „Aber vorhin hat dir Suse das Auto gegeben.“ – „Ja, aber dann war ich auf dem Klo!“ So geht es immer hin und her, beide haben vor Erregung gerötete Gesichter. Matti begibt sich Stück für Stück in ihre Nähe und hört sich den Streit eine Weile an.
Solange die Beteiligten Worte für ihre Positionen finden und ihre Gefühle durch Lautstärke ausdrücken, besteht die Chance, dass sie zu einer Lösung finden. Bleib in der Nähe. Allein dadurch bietest du Kindern Sicherheit und kannst im Bedarfsfall rechtzeitig unterstützen.
Sehr häufig kommt es vor, dass sich Kinder an Fachkräfte wenden und sich über andere Kinder beschweren. Manchmal zeigen sie auf diese Weise, dass sie Begleitung benötigen. Manchmal reicht es schon aber schon, zuzuhören und kleine Impulse zu geben. Du kannst nach den bisherigen Lösungsschritten fragen oder zu einzelnen Handlungsschritten ermutigen.
Elif kommt zu Erzieher Piet gelaufen: „Merle nimmt immer unsere Decke weg.“ Piet spiegelt Elifs Gefühle und fragt nach: „Oh, das stört dich wohl, du scheinst sehr verärgert. Weiß denn Merle, dass du das nicht möchtest? Hast du es ihr gesagt?“ Elif überlegt kurz und läuft dann beschwingt davon.
Nach einiger Zeit kehrt Elif zurück: „Merle nimmt immer wieder die Decke. Sie hört nicht, was ich sage.“ Piet spiegelt und fragt erneut: „Das ist ja wirklich ärgerlich. Wie kann ich dir denn jetzt helfen?“ – „Du musst ihr das sagen.“ – „Du möchtest gern, dass ich ihr das sage?“ – „Ja!“ Piet schlägt vor: „Elif, was hältst du davon, wenn ich das mal beobachte. Wir können dann auch gemeinsam mit Merle reden. Bist du einverstanden?“
Wenn du den weiteren Verlauf des Konflikts verfolgst, fühlen sich Kindern ermutigt. Außerdem kannst du konkrete Unterstützung anbieten und Vorschläge machen. Offene Fragen oder das Einholen des Einverständnisses signalisieren den Kindern dein Vertrauen in ihre Fähigkeiten fordern sie zugleich heraus, aktiv am Prozess mitzuwirken.
Auf Kollisionskurs – Einschreiten und Koregulieren
In manchen Situationen reichen Ermutigung und Zutrauen allein nicht mehr aus. Stattdessen ist konkrete Hilfe gefragt. Kinder haben ein gutes Gespür dafür, wann sie Hilfe benötigen und zeigen das auf unterschiedliche Weise. Achte deshalb in kritischen Situationen auf die Signale des Kindes. Schaut es sich suchend nach dir um? Ruft es nach dir? Beschwert es sich? Weint es vielleicht? Zieht es sich zurück? Das alles kann bedeuten: „Ich weiß nicht weiter. Bitte hilf mir.“
Wenn du unsicher bist, ob Hilfe benötigt wird oder du vermutest, dass eine Situation eskalieren könnte, bleib auf jeden Fall in der Nähe. Du kannst die Kinder auch fragen, ob sie Hilfe benötigen.
„Du bist schon drei Runden gefahren. Jetzt will ich das Auto haben.“ – „Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe es gerade erst bekommen!“ – „Aber vorhin hat dir Suse das Auto gegeben.“ – „Ja, aber dann war ich auf dem Klo!“ So geht es immer hin und her, Emil und Ben haben vor Erregung gerötete Gesichter. Fachkraft Matti hört sich den Streit eine Weile an und sagt dann: „Ich habe euren Streit schon von Weitem gehört. Kommt ihr zurecht?“.
Es kann sein, dass Emil und Ben ihr Wortgefecht über Eck fortsetzen und auf diese Weise die Hilfe der Fachkraft einfordern. Dann reichen meist kleine Impulse, die das weitere Gespräch begleiten und moderieren. Wenn Kinder mit sehr unterschiedlichem Temperament oder Entwicklungsstand (Sprache, Impulskontrolle oder Perspektivübernahme) aufeinandertreffen, ist mehr Vermittlung nötig.
Besonders aufmerksam solltest du sein, wenn sehr junge Kinder in einen Konflikt geraten. Viele Eskalationen und Verletzungen lassen sich durch vorausschauende Begleitung vermeiden.
Rudi steht am Waschbecken und lässt sich genüsslich das Wasser über die Hände laufen. Adi kommt dazu, um ebenfalls an den Wasserhahn zu gelangen und drängt Rudi dabei immer mehr zur Seite. Rudi gerät ins Wanken, seine Augen sind schreckgeweitet. Tagesvater Lutz hält Adi an der Schulter zurück und sagt: „Adi, warte. Rudi braucht noch einen Moment. Du möchtest auch an den Wasserhahn, gleich bist du dran.“
Deine Unterstützung ist unbedingt erforderlich, wenn Kinder zu hauen beginnen, einander Spielzeug entreißen oder die Gefahr besteht, dass jemand auf andere Weise verletzt wird. Das gilt auch für verletzende Worte und Ausgrenzungen aller Art. Handgreiflichkeiten stoppst du, indem du hingehst und dich schützend zwischen die Kinder stellst. Manchmal ist es nötig, dass du ein Kind festhältst. Sprich das Kind mit Namen an und sage ihm, was es tun soll.
Sarah buddelt ganz vertieft mit einer roten Schippe im Sand. Max hat nun genau diese Schippe für sich entdeckt. Er will Sarah die Schippe aus der Hand ziehen und ruft: „Meine!“. Sarah gibt nicht nach, beide ziehen hin und her, die ersten Tränen steigen auf. Fachkraft Robin kommt dazu und berührt Max am Arm: „Max, lass‘ los.
Eben noch haben Jo und Frida scheinbar friedlich Bausteine zu einem Turm gestapelt. Im nächsten Moment brennt die Luft. Frida zieht Jo an den Haaren, Jo holt mit dem Arm aus. Erzieherin Petra spricht ruhig, aber bestimmt: „Jo! Stopp! Frida, lass los! Auseinander!“ und schiebt die Kinder auseinander.
Dabei ist es ist wichtig, ruhig und besonnen zu agieren. Zeige den Kindern durch deine Stimme und Haltung, dass du sie unterstützen möchtest und einen Ausweg aus dem Konflikt zeigen kannst. Im nächsten Schritt brauchen die Kinder Unterstützung bei der Emotionsregulation. Gib ihnen die Gelegenheit, sich zu beruhigen. Biete zum Trost deine Hand oder eine Umarmung an, vielleicht möchten sie sich auch einen Moment zurückziehen.
Wenn die Kinder sich beruhigt haben und ansprechbar sind, dann kann über den Konflikt gesprochen werden. Bei jüngeren Kindern bedeutet das vor allem, die Gefühle, Bedürfnisse und Interessen beider Kinder zu versprachlichen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten.
Fachkraft Robin kommt zum Sandkasten und berührt Max am Arm: „Max, lass‘ los!“ – „Ich sehe, du ärgerst dich, weil Sarah die Schippe nicht hergibt.“ – „Und Sarah, du bist ganz erschrocken, weil Max die Schippe nehmen will.“ – „Ihr braucht beide gerade eine Schippe.“ – „Max, schau mal, hier ist noch eine Schippe.“, sagt Robin und zeigt auf eine weitere Schippe.
Je älter die Kinder werden, desto öfter geht es darum, das Gespräch durch Fragen anzuregen, das gegenseitige Verstehen zu unterstützen und den Konfliktlösungsprozess zu moderieren. Orientierung bieten dabei die Phasen, die im Rahmen einer Mediation durchlaufen werden.
Eisberge schmelzen lassen – Konfliktgespräche
Voraussetzung für ein hilfreiches Gespräch ist, dass du allen Kindern offen begegnest. Es geht nicht darum, Schuldige zu identifizieren oder jemanden zu verurteilen, sondern gemeinsam zu einer Einigung zu kommen. Wenn du selbst verärgert bist oder eines der Kinder noch ängstlich oder wütend ist, dann gib euch Zeit zur Beruhigung oder bitte eine:n Kolleg:in um Unterstützung.
Das Gespräch beginnt damit, die unterschiedlichen Sichtweisen der Kinder anzuhören und gemeinsam herauszufinden, worum geht es eigentlich geht. In der Mediation spricht man von der Konfliktdarstellung und der Konflikterhellung. Deine Aufgabe ist es, durch offene Fragen das Erzählen anzuregen, aktiv zuzuhören und die Aussagen der Kinder zusammenzufassen. Beschuldigende Äußerungen der Kinder kannst du durch Nachfragen und Umformulierungen entschärfen. So hilfst du den Kindern auch dabei, die Interessen und Perspektiven des anderen nachzuvollziehen.
„Ihr habt euch ja gerade mächtig gestritten. Was ist denn eigentlich passiert?“ „Ich habe gesehen, dass du Jo an den Haaren gezogen hast. Wie ist es denn dazu gekommen?“
„Julius, du hast gesagt, Max hat dich angegriffen. Was meinst du denn damit?“ „Ach, du bist über sein Bein gestolpert? Und du hast gedacht, er hätte dir absichtlich ein Bein gestellt?“
„Du wolltest den Platz für dich haben und Cem hat das nicht verstanden? Da wusstest du dir nicht anders zu helfen und hast ihn weggestoßen?“
„Du wolltest eine Decke zum Kuscheln haben? Habe ich das richtig verstanden? Deswegen hast du sie immer wieder genommen. Kann es sein, dass du müde bist?“ „Hast du das gehört, Elif? Merle brauchte etwas zum Kuscheln.“
Wenn geklärt ist, was alle Beteiligten wollten – manchmal reichen dazu wenige Sätze – kannst du zur Lösungssuche überleiten. Manchmal kommen die Kinder von sich aus auf Ideen. Je nach Situation kann eine der folgenden Fragen hilfreich sein:
„Und nun? Wie geht es jetzt weiter?“ „Was könnt ihr denn nun machen, damit ihr beide zufrieden seid?“ „Hast du auch eine Idee? Was würde dir helfen?“
„Ich habe auch noch eine Idee. Möchtet ihr die hören?“ „Was haltet ihr davon, wenn …?“
Fasse auch hier wieder in deinen Worten zusammen und frage dann die Kinder, welche der Lösungen für sie passt bzw. ob sie mit einem Vorschlag einverstanden sind.
„Jo hat vorgeschlagen, dass sie den Turm wieder aufbaut. Wäre das in Ordnung für dich?“ „Jo, Frida möchte lieber etwas anderes spielen und hätte gern, dass du die Bausteine einräumst. Bist du einverstanden?“
Bleibe anschließend noch in der Nähe. Manchmal brauchen Kinder Unterstützung bei der Umsetzung, vielleicht bedarf es noch einer Änderung oder einer Spielbegleitung. Nicht immer sind alle mit einer Lösung glücklich. Das ist auch in Ordnung. Dann besteht die Aufgabe darin, die betreffenden Kinder noch zu begleiten.
„Du wolltest so gerne mit Johanna spielen und Johanna mag jetzt lieber allein sein. Das ist traurig für dich. Hhm. Ich kann eine Weile bei dir sein. Wie wäre das?“
Erfolge feiern
Streiten kann man lernen. Es ist ein Lernprozess für alle Beteiligten. Manchmal strengt es nur wenig an, manchmal raubt es allen die letzte Energie. Sei freundlich mit dir und mit den Kindern. Vielleicht magst du für dich selbst oder gemeinsam mit den Kindern überlegen: Was ist uns heute gut gelungen? Wie haben wir den Konflikt gelöst? Wer hat wie dazu beigetragen? Kleine Erfolge zu wertschätzen, direkt nach dem Konflikt oder am Ende eines Tages, kann für alle ein beglückender Moment und zugleich Mutmacher sein.
Eine frühere Version dieses Textes wurde erstmals im März 2022 als Gastbeitrag im Blog von Anja Cantzler veröffentlicht.
Als externe Beobachterin sehe ich in Kindertageseinrichtungen immer wieder Toiletten-, Töpfchen- oder Wickelsituationen, die in mir Irritation, Verwunderung oder auch Abwehr auslösen. Dazu gehört z. B. das hektische Durchwickeln aller Kinder nach den Mahlzeiten oder das andauernde gemeinschaftliche Topfsitzen. Diese Beobachtungen vermitteln den Eindruck, dass der Aktivität Ausscheiden als Bildungsthema in den betreffenden Kitas noch nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dieser Eindruck festigt sich oft in Gesprächen. Manche pädagogische Fachkräfte praktizieren das Probieren, ob „was kommt“. Andere richten ihr Handeln auf die Wünsche der Eltern aus. Berufsanfänger:innen fehlt oft das nötige Wissen und sie übernehmen unreflektiert die gelebte Praxis.
Auf der anderen Seite erlebe ich, dass Pädagog:innen bereit sind, sich aktuelles Wissen anzueignen und das Wickeln bedürfnisorientiert und entwicklungsgerecht zu gestalten. Für diese Fachkräfte gibt es ein Buch, das aktuelles Fachwissen vermittelt und den Einstieg in eine reflektierte Auseinandersetzung mit diesem Bildungsthema ermöglicht.
Dorothee Gutknecht& Haug-Schnabel, Gabriele (2019): Windel adé. Kinder in Krippe und Kita achtsam begleiten. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.
Was das Buch inhaltlich bietet
Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel begründen Gutknecht und Haug‑Schnabel, weshalb die aktuelle Literatur von der Begleitung zur Ausscheidungsautonomie spricht, während in der Vergangenheit von einer Erziehung zur Sauberkeit die Rede war. Der begriffliche Wandel spiegelt z. B. eine veränderte Haltung gegenüber dem Kind, aber auch den Erkenntnisgewinn durch die Forschung.
Das zweite Kapitel rückt die Pflege als Bildungsbereich in den Mittelpunkt, der neben dem sogenannten Ausscheiden, z. B. auch die Aktivitäten Kommunizieren, sich Kleiden oder Körperpflege umfasst. In unserem Kulturkreis spielt sich Pflege sowohl in der Familie als auch in Kindertageseinrichtungen ab. Für eine responsive Begleitung in diesem Bildungsbereich sollten Pädagog:innen verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Diese werden im dritten Kapitel vorgestellt. Neben umfangreichem Wissen über die physiologische und psychologische Entwicklung sollten Fachkräfte über die Fähigkeit verfügen, Signale zu erkennen, die auf eine Bereitschaft zur Ausscheidungsautonomie hinweisen. Darüber hinaus benötigen sie ein umfangreiches Handlungsrepertoire, um auf diese Signale angemessen reagieren zu können. Gutknecht und Haug-Schnabel machen deutlich, dass eine Kindertageseinrichtung, die ihren Bildungsauftrag ernst nimmt, das Wickeln nicht grundsätzlich als Aufgabe von Praktikant:innen betrachten kann.
Im vierten Kapitel werden die Etappen der physiologischen Entwicklung der Blasen- und Darmkontrolle dargestellt. Anschließend werden parallel dazu stattfindende Entwicklungen in den Bereichen Ich-Bewusstsein, Sprache, Kognition und Motorik beschrieben. Die Lesenden erfahren, wie diese Entwicklungen aufgegriffen werden können und z. B. schon sehr früh Partizipation beim Wickeln realisiert werden kann. Außerdem wird nachvollziehbar, weshalb bestimmte Spielthemen, Sprachanlässe oder Verhaltensweisen auftreten. Beispielhaft seien an dieser Stelle die Freude an der Fäkalsprache oder auch das Verweigern des Toilettengangs genannt, das von Fachkräfte oft als Herausforderung erlebt wird.
Ausführlich beschreiben die Autorinnen im fünften Kapitel, wie Pädagog:innen das Wickeln und die Toilettensituation so gestalten, dass Kinder daran interessiert sind und bleiben, zunehmend selbständiger zu agieren. Als Grundlage gilt die beziehungsvolle und stressfreie Pflege mit sehr bewussten Berührungsinteraktionen. Anschaulich wird beschrieben, wie der Toilettengang partizipativ gestaltet und jede Aktion sprachlich angekündigt bzw. begleitet wird. Außerdem gibt es Anregungen dafür, wie der Zuwendungsverlust kompensiert werden kann, der mit dem selbständigen Gang auf die Toilette einhergeht. Das Kapitel ist darauf ausgerichtet, die Lebensaktivität Ausscheiden als Bildungsthema zu begreifen und entsprechend zu gestalten.
Das sechste Kapitel beleuchtet kulturelle Fragen. Schnell wird deutlich, dass die dem Ausscheiden zugrundeliegenden Reifungsprozesse stark von äußeren Faktoren mitbestimmt und sogar überformt werden. Die Lesenden können sich mit unterschiedlichen Toilettenkulturen vertraut machen und die eigene reflektieren. Außerdem wird das Entstehen von Schamgefühl in diesem Kapitel erläutert. Darüber hinaus wird der Trend, Babys ohne Windeln aufwachsen zu lassen, erklärt und kritisch gewürdigt.
Im siebenten Kapitel erfolgt eine differenzierte Betrachtung zur Bedeutung anderer Kinder in der Gruppe. Das Beobachten ausscheidungsautonomer Kinder gilt als motivierend und das Erlernen der Abläufe kann dadurch ebenfalls unterstützt werden. Gleichzeitig regen die Autor:innen zu Achtsamkeit an. Die Präsenz von Kindern verursacht zahlreiche Reize, die die Wahrnehmung körperlicher Vorgänge beeinträchtigen oder die Fachkraft von zugewandten Interaktionen ablenken. Das Kapitel macht außerdem auf die Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen aufmerksam und gibt Impulse für eine genderbewusste Begleitung aller Kinder in der Kita.
Die Bedeutung des Waschraums als erweiterter Erfahrungsraum ist Thema des nächsten Kapitels. Die Autor:innen geben Anregungen aus der Praxis, wie sich auch ältere Räume mit fehlendem Bewegungsspielraum einladend gestalten lassen. Es wird betont, dass die gute Atmosphäre wichtig ist, um etwa vorhandenen Ängsten lustvolle Erfahrungen entgegenzusetzen. Weiterhin werden die Vor- und Nachteile von Töpfchen, Einmalhandschuhen und Handtüchern besprochen. Dabei gehen Gutknecht und Haug‑Schnabel differenziert auf das Spannungsverhältnis zwischen pädagogischen und hygienischen Anforderungen ein.
Das neunte Kapitel widmet sich der Frage, wie Kinder unterwegs oder draußen, abweichend von vertrauten Gegebenheiten, in ihrem Entwicklungsprozess begleitet werden können. Tipps zu nützlicher Ausstattung oder Alternativen zum Abhalten ergänzen das Kapitel.
Typische Phänomene und Schwierigkeiten im Prozess der zunehmenden Ausscheidungsautonomie sind Gegenstand des zehnten Kapitels. Gutknecht und Haug-Schnabel informieren über Häufigkeiten, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten. Viele Fachkräfte kennen z. B. das Verlangen nach einer Windel für den Stuhlgang, das Einnässen während intensiven Spiels oder Rückschritte, die z. B. im Zusammenhang mit der Geburt eines Geschwisterkindes auftreten. Daneben gibt es aber auch das Einnässen, welches durch Stress in der Kita ausgelöst wird. Abgerundet wird das Kapitel durch die Darstellung der Situation von Kindern mit Entwicklungsverzögerungen oder körperlichen bzw. geistigen Behinderungen. Lesende erhalten hilfreiche Erklärungen, Beobachtungsfragen und wertvolle Hinweise für präventives Arbeiten.
Das elfte Kapitel ist der Zusammenarbeit mit den Eltern gewidmet. Die Autor:innen benennen die Ziele von Entwicklungsgesprächen rund um das Thema Ausscheidungsautonomie und beschreiben schwierige Elternstrategien – vom Auslagern bis zum Drängen – und wie Pädagog:innen darauf eingehen können. Lesende werden dafür sensibilisiert, wie wichtig und gleichzeitig beschämungsanfällig die Abstimmung zwischen Elternhaus und Kita bei diesem Thema ist. Das Kapitel klärt außerdem über häufige Mythen und überlieferte Strategien vom nächtlichen Wecken bis zu Belohnungssystemen auf, die unter Laien anzutreffen sind.
Im letzten Kapitel betonen Gutknecht und Haug‑Schnabel die Notwendigkeit, sich als Team mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie schlagen Reflexionsfragen vor, z. B. zur Biographie rund um das Ausscheiden, zum Umgang mit Ausscheidungsbedürfnissen im Berufsalltag und zu Empfindungen wie Ekel oder Scham. Außerdem gehen sie darauf ein, weshalb und wie Schlüsselsituationen konzeptionell verankert werden sollten.
Weshalb ich dieses Buch empfehle
Das Buch bietet einen aktuellen, umfassenden Überblick zur Entwicklung der Ausscheidungsautonomie und wie diese Entwicklung achtsam begleitet werden kann. Dabei werden konkrete Herausforderungen aus der pädagogischen Praxis aufgegriffen. Zusätzlich lädt das Buch ein, die Perspektive von Kindern einzunehmen und deren Herausforderungen zu verstehen.
Das Buch ist kompakt geschrieben und übersichtlich strukturiert. Farbige Überschriften und unterlegte Textabschnitte erleichtern die Orientierung und das Lesen selbst. Der Text wird ergänzt durch zahlreiche Fotos und vielfältige Beispiele. Besonders hilfreich sind die konkreten Anregungen zur Gestaltung von Situationen und Dialogen. Ergänzend dazu finden die Lesenden eine Auswahl an Bilderbüchern zum Themenkreis Ausscheidung und Abschied von der Windel.
Das Buch eignet sich sowohl für Berufsanfänger:innen als auch für erfahrene Fachkräfte und Teams, die die gelebte Interaktionsqualität rund um das Ausscheiden reflektieren und weiterentwickeln möchten oder Unterstützung für den Dialog mit Eltern suchen.
Die erste Fassung dieser Rezension habe ich 2020 für das Berliner Institut für Frühpädagogik geschrieben.
… oder lieber nicht? Das fragte ich mich, als ich bei einem meiner Spaziergänge nicht die gewohnten Bedingungen vorfand. Der romantische Wanderweg an der Erpe hatte sich in eine matschige Strecke verwandelt. Es wirkte alles andere als einladend. Bei jedem meiner vorsichtigen Schritte schmatzte es unter meinen Sohlen. Der Boden schien mich festhalten zu wollen und bewegte sich unter meinen Füßen. Mein Tritt wurde unsicher. Die tief hängenden, grauen Wolken trugen kaum zu einer besseren Stimmung bei. Zu allem Übel ließen mich Kälte und Feuchtigkeit frösteln.
Nur meine Gedanken ließen sich von alledem nicht aufhalten und wanderten: Ist es nicht genau so auch im Beruf? Wir finden nicht immer die Bedingungen vor, die wir gestern noch hatten. Oft arbeiten wir sogar über lange Zeit unter Bedingungen, die alles andere als ideal sind. Das kann irritierend, ärgerlich oder furchteinflößend sein und sehr viel Kraft kosten. Diese eigene Irritation, diesen Ärger oder unsere Furcht und Kraftlosigkeit dürfen wir erstmal sehr einfühlsam zur Kenntnis nehmen. Und im nächsten Schritt können wir auf das schauen, was uns auch in unter diesen Bedingungen zur Verfügung steht. Ist es eine helfende Hand? Ist es ein kleiner Schleichweg? Ist es die bewusste Verlangsamung? Oder ist es ein Paar wasserfester, bequemer Schuhe, das uns in den Matsch hinein und dann wieder hinausführt?
… in meinem Blog. Hier schreibe ich über Erfahrungen und Erlebnisse, die mich erfreuen, inspirieren, irritieren oder herausfordern. Ich reflektiere über Fragen, die mir in Fortbildungen oder Beratungsprozessen gestellt werden und die Menschen in ihrer Arbeit bewegen. Regelmäßig empfehle ich auch Podcasts und Filme, Fachliteratur und Kinderbücher rund um die Themen, die mir am Herzen liegen. Ich freue mich darauf.